Ihrer Exzellenz der Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland

Frau Dr. Angela Merkel

Bundeskanzleramt
Willy-Brandt-Straße 1
10557 Berlin


Berlin, den 29. Juni 2017

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,

im Namen des Bundesverbands der Vietnamesen in Deutschland e.V. und anderer Organisationen der Vietnamesen in der Bundesrepublik Deutschland und Europa möchten wir unsere herzlichsten Grüße an Sie und die Bundesregierung übermitteln.
 
Mit diesem Schreiben möchten wir Sie und die Bundesregierung auf die völkerrechtswidrigen Aktivitäten der Volksrepublik China zur Erhebung seiner unberechtigten Territorialansprüche im Südchinesischen Meer mit folgenreichen Spannungen und Instabilitäten in der Region als Konsequenz aufmerksam machen und zugleich an Sie appellieren, diese zu verurteilen. Im Zuge der deutschen G20-Präsidentschaft im Jahr 2017 und mit der Tatsache, dass Deutschland eine der einflussreichsten Nationen mit immer mehr Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung bei internationalen Angelegenheiten ist, hoffen wir auch, dass Sie maritime Territorialkonflikte auf der Welt - unter anderem im Südchinesischen Meer - und Lösungsansätze basierend auf friedlichen Mitteln als Thema auf die Tagesordnung und die Abschlusserklärung des kommenden G20-Gipfels, der im Juli 2017 in Hamburg stattfindet, setzen werden.
 
Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,
 
Mit dem Selbstbewusstsein einer neuen Großmacht hat die Volksrepublik China in den letzten Jahren immer aggressivere Schritte eingeleitet, um ihre unbegründeten Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer zu untermauern. Es wird immer deutlicher, dass China das gesamte Gebiet für sich allein beansprucht, was nicht nur für Anrainerstaaten, die direkt am Territorialkonflikt beteiligt sind, sondern auch für andere Länder mit Interesse an sicheren maritimen Transportrouten besorgniserregend ist.
 
Obwohl China das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (UNCLOS) vom 1982 unterschrieben hat, hat es immer wieder absurde Hoheitsansprüche auf fast alle Inselgruppen und Seegebieten im Südchinesischen Meer mit angeblichen "historischen Belegen" erhoben.
 
Insbesondere beansprucht China ein riesiges Gebiet innerhalb der sogenannten "Neun-Striche-Line" mit 90 Prozent der Fläche des Südchinesischen Meeres, das weit in den Festlandsockel (darunter die ausschließliche Wirtschaftszone) anderer Länder in der Region hinein reicht. Im Mai 2014 erreichte der Territorialkonflikt im Südchinesischen Meer eine neue Eskalationsstufe mit der illegalen Verlegung der chinesischen Bohrinsel "Haiyang Shiyou 981" in Vietnams ausschließlicher Wirtschaftszone. China hat Hunderte von Begleitschiffen - darunter Militärschiffen - und Kampfflugzeuge mobilisiert, um die mobile Ölplattform angeblich zu "verteidigen". In Wahrheit hat China mit gezielten Provokationen versucht, die vietnamesische Küstenwache an der Verteidigung der Gebietshoheit zu hindern und sogar anzugreifen.
 
Um ihre Gebietsansprüche durchzusetzen, hat die Volksrepublik China jedes Jahr einseitig immer wieder Fischfangverbote im Südchinesischen Meer verhängt, was vollkommen unbegründet ist. Auch in diesem Jahr will China den Fischfang vom 01. Mai bis 16. August im Gebiet um die Paracel-Inseln und in einem Teilgebiet des Golfes von Tonkin verbieten, obwohl es überhaupt kein Recht dazu hat, Regeln und Bestimmungen zu Fischfangaktivitäten außerhalb seiner ausschließlichen Wirtschaftszone aufzustellen. Das Verhängen von solchen Fischfangverboten ist eindeutig völkerrechtswidrig und verstößt gegen UNCLOS 1982 sowie andere internationale Vereinbarungen zum Verhalten im Territorialkonflikt im Südchinesischen Meer zwischen dem Verband Südostasiatischer Nationen (ASEAN) und China aus dem Jahr 2002.
 
Was aber richtig alarmierend ist, ist die Tatsache, dass China allen Warnungen vor schwerwiegenden ökologischen Folgen zum Trotz von langer Hand künstliche Inseln an vielen Riffen, Felsen, Atollen und Sandbänken der Spratly- und der Paracel-Inseln aufgeschüttet hat wie z.B. Fiery Cross Reef, Mischief-Riff, Subi-Riff, Johnson South Reef, Gaven-Riffe, Cuarteron-Riff (diese hat China schon im Jahr 1974 bzw. 1988 illegal besetzt), um darauf nicht nur zivile, sondern auch militärische Anlagen zu bauen. Selbst nach dem Urteil des Ständigen Schiedshofs in Den Haag (PCA) in einem Verfahren zwischen den Philippinen und der Volksrepublik China (12. Juli 2016), wobei große Teile der chinesischen Ansprüche im Südchinesischen Meer aufgrund fehlender rechtlicher Grundlage für nichtig erklärt wurden, setzte China die Bauarbeit von großen (hauptsächlich militärischen) Anlagen unvermindert fort. Bis zum heutigen Zeitpunkt hat China drei Luftwaffenstützpunkte  errichtet und ist gerade dabei, 24 Hallen für (Kampf-)Flugzeuge auf dem Fiery Cross Reef, dem Mischief-Riff und dem Subi-Riff, die zu den Spratly-Inseln zu bauen. Von diesen Luftwaffenstützpunkten aus kann China Kampfflugzeuge aller Art wie Jäger, strategische Bomber, Transportflugzeuge etc. mit einer Reichweite von 1.000 bis 1.500 km operieren. Damit  würden das zentrale und südliche Gebiet des Südchinesischen Meeres sowie das Festland von Vietnam, Indonesien und den Philippinen abgedeckt. Zudem hat China auf diesen drei Riffen hochmoderne Luftabwehrsysteme von kurzer und mittlerer Reichweite errichtet. Mit dem Bau von künstlichen Inseln und der Errichtung von (militärischen) Anlagen will China Fakten schaffen und seine militärische Präsenz im Südchinesischen Meer dauerhaft ausweiten.
 
Um das gesamte Südchinesische Meer für sich allein zu beanspruchen, hat China bisher alle internationale Kritiken und Warnungen ignoriert sowie alle multilaterale Verhandlungen zur Konfliktlösung abgelehnt. Auch den oben erwähnten eindeutigen Schiedsspruch des Ständigen Schiedshofs in Den Haag hat China abgewiesen bzw. ignoriert. Zudem versucht China immer wieder, mit verschiedenen Mitteln viel Druck auf die am Territorialkonflikt beteiligten Länder auszuüben.

Chinas aggressive und völkerrechtswidrige Aktivitäten in der letzten Zeit zeigen, dass Peking praktisch die Kontrolle über das gesamte Südchinesische Meer haben wird. Die Militarisierung von Inseln im Südchinesischen Meer bedrohen nicht nur den Frieden und die Stabilität, sondern auch die freie Schifffahrt in der Region, durch die mehr als 40 Prozent der weltweiten Handelstransporte verlaufen. Daher ist der Territorialkonflikt im Südchinesischen Meer nicht mehr nur eine regionale, sondern auch eine globale Angelegenheit mit Folgen für die nationalen Interessen vieler Länder auf der Welt.
 
Führende Länder auf der Welt haben bereits ihre tiefe Besorgnisse zu diesem Konflikt zum Ausdruck gebracht. Beim diesjährigen Shangri-La-Dialog vom 02. bis 04. Juni 2017 in Singapur hat der US-Verteidigungsminister James Mattis klargestellt, dass die Militarisierung des Südchinesischen Meeres durch China gegen das internationale Recht verstößt, die Interessen anderer Staaten missachtet und die vereinbarten nicht konfrontativen Maßnahmen beim Territorialkonflikt im Südchinesischen Meer ignoriert. In den ersten Monaten des Jahres 2017 hat die US-Navy regelmäßig Flugzeugträgerverband ins Südchinesische Meer zum Patrouillieren geschickt, um die Bedeutung der ungehinderten Schiff- und Luftfahrt dort und die Ablehnung der absurden Gebietsansprüche Chinas hervorzuheben. Durch die Abschlusserklärung beim Gipfel in Italien im Mai 2017 zeigten sich die G7-Staaten auch besorgt über die Lage sowohl im Süd- als auch im Ostchinesischen Meer und waren strikt gegen jegliche einseitige Aktionen, die die Spannungen in diesen Regionen erhöhen könnten. Zudem wurden alle an den Konflikten beteiligten Parteien dazu aufgefordert, die umstrittenen Inseln zu demilitarisieren.
 
Nichtsdestotrotz hat China bisher alle internationale Kritiken und Warnungen ignoriert und setzt unerbittlich seine illegalen Aktivitäten zur Militarisierung des Südchinesischen Meeres fort. Deshalb ist die internationale Gemeinschaft aufgefordert, noch deutlicher und konsequenter Position zu China und seinen unberechtigten Territorialansprüchen zu beziehen.
 
Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,
 
als eine große Nation hat Deutschland eine Führungsrolle nicht nur in Europa, sondern auch auf der ganzen Welt mit viel Einfluss auf internationale Angelegenheiten. Insbesondere ist Deutschland eine der größten Exportnationen. Daher ist für Deutschland die Absicherung wichtiger maritimer Transportwege von großer Bedeutung. Alle aus Konflikten resultierende Instabilitäten, die die Sicherheit von Seerouten für den Welthandel gefährden, werden die deutsche Exportwirtschaft negativ beeinflussen.
 
Vor diesem Hintergrund möchten wir an Sie und die Bundesregierung appellieren, sich mehr für den Territorialkonflikt im Südchinesischen Meer zu interessieren und deutlicher Stellung dazu zu beziehen, indem Sie Chinas aggressive und völkerrechtswidrige Aktivitäten im Südchinesischen Meer verurteilen und China zum Stopp dieser Aktivitäten auffordern sowie eine Konfliktlösung mit friedlichen, auf dem Völkerrecht basierten Mitteln unterstützen. Wir hoffen auch, dass Sie maritime Territorialkonflikte auf der Welt - unter anderem im Südchinesischen Meer - und Lösungsansätze basierend auf friedlichen Mitteln als Thema auf die Tagesordnung und die Abschlusserklärung des kommenden G20-Gipfels in Hamburg setzen werden.
 
Obwohl dieser Appell nur die Sicht des Bundesverbands der Vietnamesen in Deutschland e.V. und anderer Organisationen der Vietnamesen in Europa zu den Konflikten darstellt, glauben wir, nicht nur für alle Vietnamesen, sondern auch für viele friedliebende Bürger anderer Staaten auf der Welt mit ihren Sorgen über Chinas immer aggressiveres Verhalten sprechen zu können.
 
Wir hoffen, in Zukunft mehr Aufmerksamkeit und Interesse von Ihnen zu der sehr ernsten Lage des Territorialkonflikts im Südchinesischen Meer zu bekommen.

Hochachtungsvoll

(Gezeichnet)

Prof. Dr. Nguyen Van Thoai

Vorsitzender

Bundesverbands der Vietnamesen in Deutschland e.V.




 

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